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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 23.09.1999
Aktenzeichen: 1 Ws 211/99
Rechtsgebiete: FAG
Vorschriften:
FAG § 12 |
Auskünfte über Telekommunikation
§ 12 FAG stellt angesichts des eindeutigen Wortlauts keine Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung der Mitteilung der Verbindungsdaten zukünftig anfallender Telekommunikation dar.
OLG Celle Beschluß 23.09.1999 - 1 Ws 211/99 - 12 VRs 26792/92 StA Hildesheim
wegen Anordnung der Mitteilung von Gesprächsverbindungsdaten
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde der ... gegen den Beschluss der Strafkammer 15 des Landgerichts Hildesheim vom 17. Juni 1999 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Landgericht ... am 23. September 1999 beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss ist rechtswidrig, soweit durch ihn die Mitteilung der Verbindungsdaten der ein- und ausgehenden Gespräche für den bezeichneten Telefonanschluss sowie die Koordinaten der vom überwachten Handy angesprochenen Türme in Form von sogenannten "S-Records" jeweils für die Dauer von 4 Wochen ab dem 17. Juni 1999 angeordnet worden ist.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Beschwerdeführerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
Der Strafgefangene ...,der durch Urteil der 15. Grossen Strafkammer des. Landgerichts Hildesheim zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt worden ist, war am 22. März 1999 aus der Strafhaft entwichen. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat die Strafkammer zur Ergreifung des Flüchtigen durch den angefochtenen Beschluss gemäß § 12 FAG in Verbindung mit § 457 Abs. 3 StPO angeordnet, dass die Beschwerdeführerin der mit der Zielfahndung befassten Kriminalpolizeiinspektion ohne Zeitverzug
"1) die Verbindungsdaten der ein- und ausgehenden Gespräche für den Telefonanschluß 01 73 / 2 74 83 03 Anschlußinhaberin: Ronja Spott (es folgen ihre Personalien),
Nutzer: ...
rückwirkend für den Zeitraum der letzten 80 Tage vor dem 17. 06. 1999 sowie für die Dauer von vier Wochen ab dem 17. 06. 2000;
2) die Koordinaten der vom überwachten Handy (Anschluß Nr. 01 73 / 2 74 83 03) angesprochenen Türme in Form von sogenannten "S-Records" online für die Dauer von vier Wochen ab dem 17. 06. 1999"
mitzuteilen hat.
Nachdem die weiteren Ermittlungen ergaben, dass dem Verurteilten ... der Anschluss der Frau ... aufgrund einer Verwechslung zugeordnet worden war, wurde die Maßnahme nach einem Bericht der Fahndungsgruppe vom 22. Juni 1999 beendet. Der Verurteilte wurde am 6. Juli 1999 festgenommen.
Mit ihrer Beschwerde vom 18. Juni 1999 hat die Beschwerdeführerin beantragt, den angefochtenen Beschluss insoweit aufzuheben, als er die Mitteilung von Verbindungsdaten und "S-Records" online für einen Zeitraum von 4 Wochen ab dem 17. Juni 1999 anordnet. Begründet hat sie die Beschwerde damit, dass § 12 FAG keine Rechtsgrundlage zur Anordnung der Herausgabe zukünftiger Verbindungsdaten der Telekommunikation bilde und die Herausgabe von "S-"Records darüber hinaus nur im Rahmen einer Anordnung gemäß §§ 100 a, 100 b StPO angefordert werden dürfe. Mit Schriftsatz vom 20. September 1999 hat sie unter Hinweis auf ihr fortdauerndes Feststellungsinteresse beantragt, die teilweise Rechtswidrigkeit des Beschlusses festzustellen, soweit er angefochten worden ist.
Die Beschwerde ist zulässig.
Die Beschwerdeführerin, eine private Telekommunikationsnetzbetreiberin, ist als Adressatin des angefochtenen Beschlusses unmittelbar Betroffene im Sinne des § 304 Abs. 2 StPO und nach allgemeiner Meinung auch insoweit beschwerdebefugt, als die Eingriffsnorm den Bereich betrifft, in dem sie als Netzbetreiberin zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses verpflichtet ist.
Die Beschwerde ist zwar prozessual überholt, weil sich die zugrunde liegende Maßnahme inzwischen durch Zeitablauf und die Festnahme des Verurteilten erledigt hat. Die Beschwerdeführerin hat aber ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme; denn sie muss besorgen, dass die Staatsanwaltschaft, die an ihrer entgegengesetzten Rechtsauffassung festhält, auch in Zukunft gleichartige Anordnungen beantragen und das Landgericht, das der Beschwerde nicht abgeholfen hat, solche antragsgemäß erlassen wird. Die Wiederholungsgefahr besteht auch trotz des Umstands, dass § 12 FAG nach § 28 Satz 2 FAG mit Ablauf des 31. Dezember 1999 außer Kraft tritt. In mindestens zwei Gesetzesinitiativen ist nämlich vorgesehen, die Befristung des § 12 FAG aufzuheben (vgl. Ziff. 8 des Beschlusses des Bundesrates vom 9. Juli 1999, BR-Drs. 325/99 sowie Art. 1 des Gesetzentwurfs zur Änderung des FAG vom 28. Juni 1999, BT-Drs. 14/1315).
Die Beschwerde ist auch begründet.
Die Anordnung, dass die Beschwerdeführerin die nachgefragten Verbindungsdaten und Koordinaten auch für die Dauer von 4 Wochen ab Erlass des angefochtenen Beschlusses mitzuteilen hat, war rechtswidrig. § 12 FAG bietet angesichts des eindeutigen Wortlauts keine Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zur Mitteilung zukünftig anfallender Gesprächsdaten. Dies war bis zu den Entscheidungen des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26. Januar 1998 - 5/12 Qs 4/98 - und des Landgerichts München I vom 29. Juni 1998 (NStZ-RR 1999, 85) - soweit ersichtlich - einhellige Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. nur OLG Köln, NJW 1970, 1856 (1857), Lampe in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtl. Nebengesetze, § 12 FAG Rn. 12, KK-Nack, StPO, 4. Aufl., § 100 a Rn. 17, LR-Schäfer, StPO, 24. Aufl., § 99 Rn. 44 m. w. N. sowie auch Nr. 85 RiStBV). § 12 FAG bestimmt, dass in strafgerichtlichen Untersuchungen Auskunft über die Telekommunikation verlangt werden kann, "wenn die Mitteilungen an den Beschuldigten gerichtet waren oder wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß die Mitteilungen von dem Beschuldigten herrührten oder für ihn bestimmt waren ..." (Unterstreichungen durch den Senat). Dieser Wortlaut bildet die Schranke für die Auslegung der speziellen Ermächtigungsnorm, die einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG erlaubt (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 29. Juli 1999 - 3 Ws 368/99).
Das Landgericht München I versucht, seine anderslautende Entscheidung, der sich die Generalstaatsanwaltschaft und das Landgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss angeschlossen haben, dadurch mit der vom Gesetz verwandten Vergangenheitsform in Einklang zu bringen, dass Telekommunikationsvorgänge, über die nach Speicherung Auskunft erteilt werden solle, notwendigerweise in der Vergangenheit geschehen sein müssten. Dies vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil bei den heutigen technischen Möglichkeiten ohne weiteres denkbar ist, dass über noch nicht abgeschlossene Telekommunikationsvorgänge, deren Beginn bereits gespeichert ist, Auskunft erteilt werden müsste, wenn dem Netzbetreiber - wie gerade auch in dem angefochtenen Beschluss - aufgegeben ist, ohne Zeitverzug die Verbindungsdaten und die Koordinaten der angesprochenen Türme online mitzuteilen.
Praktikabilitätserwägungen vermögen keine über den Wortlaut hinausreichende Auslegung zu rechtfertigen. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, diesen Gesichtspunkten erforderlichenfalls Rechnung zu tragen und der Anordnungskompetenz des Richters auch zukünftig anfallende Daten zu unterstellen. Trotz der seinerzeit übereinstimmenden Auslegung des § 12 FAG hat der Gesetzgeber bei Erlass des Telekommunikationsgesetzes vom 25. Juli 1996 aber lediglich das Wort "Fernmeldeverkehr" durch "Telekommunikation" ersetzt und zusätzlich bestimmt, dass das Grundrecht des Art. 10 GG insoweit eingeschränkt wird. Durch Gesetz vom 17. Dezember 1997 ist nur die Geltung der Vorschrift verlängert worden und auch bei den derzeitigen Gesetzesinitiativen ist - soweit bekannt - eine sachliche Änderung der Vorschrift nicht beabsichtigt.
Insoweit kann die Gegenansicht nicht mit dem Argument überzeugen, dass die täglich wiederholte gerichtliche Anordnung der Rufdatenerfassung vom Vortag schließlich von § 12 FAG gedeckt wäre und deshalb ein Auskunftsverlangen für einen absehbaren Zeitraum in die Zukunft der Vermeidung solcher unnötigen wiederholten Auskunftsverlangen diene. Das Erfordernis von wiederholten Anordnungen bedeutet entgegen der Ansicht des Landgerichts Frankfurt am Main schon deshalb keine nutzlose "Förmelei", weil im Zeitpunkt der Anordnung stets sämtliche Voraussetzungen des § 12 FAG zu prüfen sind (so auch OLG Hamm, a.a.O.). So kann entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft die Frage, ob die Auskunft für die Untersuchung Bedeutung hat, nicht stets für einen künftigen, wenn auch nur begrenzten Zeitraum entschieden werden. Durch weitere Ermittlungen und sonstige Ereignisse können sich Änderungen ergeben, die die Voraussetzungen einer Anordnung entfallen lassen können. Das Gericht, das in der Regel davon keine Kenntnis erhalten wird, könnte darauf nicht reagieren; eine § 100 b Abs. 4 StPO entsprechende Regelung fehlt. Gerade das vorliegenden Verfahren bietet ein Beispiel dafür, indem wenige Tage nach der Anordnung festgestellt wurde, dass der betroffene Anschluss nur irrtümlich dem Verurteilten zugeordnet worden war.
Allerdings ist der Beschwerdeführerin nicht darin zu folgen, dass Voraussetzung für eine Mitteilung der sogenannten "S-Records" gem. § 3 Abs. 2 FÜV eine Telekommunikationsüberwachungsanordnung nach §§ 100 a, 100 b StPO sei. Auch § 12 FAG ermächtigt zu einer entsprechenden Anordnung, wenn der Netzbetreiber diese Daten gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 TDSV bei mobilen Anschlüssen erhebt und speichert.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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